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Recording review: Rheinische Post – Geigerin Eldbjørg Hemsing gilt als eines der größten Klassik-Talente (DE)

Von Wolfram Goertz – Rheinische Post, 28. 6. 2020
Oslo Anne-Sophie Mutters Erbin: Eldbjørg Hemsing aus Norwegen gilt als herausragendes Musikertalent. Auf ihrer neuen CD spielt sie die Sonaten ihres berühmten Landsmanns Edvard Grieg.
Die Welt schaut seit einigen Jahren gern nach Norwegen, weil das eher unscheinbar an die Westkünste Skandinaviens geflanschte, tief zerfurchte Land der Welt einen neuen König geschenkt hat. Es ist der Schachspieler Magnus Carlsen. Der gilt als Brüterich und unter Fans der Sportart als Boa, als Würgeschlange. Wer ihm gegenüber sitzt, erlebt bei mangelhafter Gegenwehr seine langsame Erdrosselung.
Eldbjørg Hemsing ist Norwegens neue Königin, ihr sieht man gern zu, sie hat nichts Kriegerisches, sie ist eine aparte junge Frau mit langen blonden Haaren, sie könnte in Oslo die Rechtsabteilung des Umweltministeriums leiten oder einen Bootsverleih in Trondheim. Doch sie ist Musikerin, sie spielt Geige, und weil das halt nicht so ganz ungewöhnlich ist, hat sie irgendein Troll aus der Marketing-Abteilung ihrer Plattenfirma BIS fürs Cover ihrer neuen CD in eine steinige norwegische Flechtenlandschaft gestellt. Zuvor hat er ihr einen Feen-Overall verpasst und ihr die Geige in die Hand gedrückt. Auf wen soll sie da warten? Auf Peer Gynt etwa, den Hallodri der nordischen Mythologie? Eher wartet sie auf Edvard Grieg, der irgendwie von den Toten aufersteht, Hemsing ernst in die Augen schaut und ergriffen sagt: „Von dir, mein Kind, habe ich mein ganzes Leben lang geträumt!“
In ihrer Heimat hat sie ein eigenes Festival
Kammermusik Gemeinsam mit ihrer Schwester Ragnhild, die ebenfalls Geigerin ist, hat Eldbjørg Hemsing im norwegischen Dorf Aurdal ein Kammermusik-Festival gegründet.
Neue CD Edvard Griegs drei Sonaten für Violine und Klavier (mit Simon Trpceski, Klavier) sind beim Label BIS erschienen.
Vermutlich ist sie Anne-Sophie Mutters ideale Erbin. Ihr Geigenspiel ist brennend ausdrucksvoll, wie eine Reizstrombehandlung, wie eine Nervenstimulation, nicht schmerzhaft, aber intensiv. Dieser Intensität gibt man sich umso lieber hin, als es sich bei der neuen CD um die drei Violinsonaten von Grieg handelt, hochromantische, virtuos ausladende, etwas versponnene Musik. Über die zweite Sonate geht die Legende, dass nach ihrer Premiere Griegs Kompositionslehrer, der Däne Niels Wilhelm Gade, tadelnd gesagt haben soll: „Nein, Grieg, die nächste Sonate müssen sie nicht so norwegisch machen!“ Darauf soll Grieg geantwortet haben: „Im Gegenteil, Herr Professor, die nächste wird noch schlimmer.“ Sie wurde aber kein Elfentanz, kein Gnomenreigen, sondern ein durch und durch europäisches Meisterwerk.
Das hört man aus Hemsings Interpretation herrlich heraus. Sie zeigt uns Grieg als weltgewandten Meister, der mit formalen Einfällen nicht geizt, gern durchs Unterholz der Harmonik streift, aber vor allem ein rassiger Melodiker ist. Hemsing spielt das wie mit glühenden Fäden, die den Himmel über der Musik zart erleuchten. Da muss Strom im Spiel sein! Gleichwohl zeigt sie nur selten ihre Muskeln, ihr Vibrato ist eher diskret; sie zersägt die Saiten nicht, sie vertraut darauf, dass der Ton ihrer Guadagnini-Geige auch ohne großen Bogendruck die Luft in Schwingung versetzt und nur im äußersten Fall durchschneidet. Es ist wie der Klang der Stille.
Das Auffallende ihres Spiels ist jedes Fehlen von Kalkül. Keine Sekunde verbreitet sie das Phänomen von Geiger-Raffinesse, von retortenhafter Emotion. Im Moment des Spielens scheint sie den allerersten Zugriff aufs Stück zu wagen, immer steckt ein Funke Risiko in ihrem Musizieren, eine latente Gefährdung. Doch an Absturz kein Gedanke, denn Hemsing besitzt ein gesundes Urvertrauen. Diesmal gilt es dem fabelhaften Pianisten Simon Trpceski, der kein Norweger, sondern ein Mazedonier ist. Aber er fühlt sich in der kühlen Luft den Nordens wohl. Er kennt den Weg. Beide atmen die geistige Freiheit, die ein gutes Duo immer auch besitzt: Einer kann sich auf den anderen in jeder Sekunde hundertprozentig verlassen.
Die Grieg-Platte ist ein neuerliches Dokument, das Eldbjørg Hemsing, 1990 im norwegischen Aurdal geboren, als Geigerin der Zukunft zeigt. Sie ist keine Spur kontaktscheu, sie hat das Violinkonzert des chinesischen Komponisten Tan Dun erstmals für die Platte eingespielt. Sie hat das wunderbar schmachtende Violinkonzert ihres Landsmanns Hjalmar Borgstrøm von jeder Schwerblütigkeit befreit und nebenbei das Schostakowitsch-Konzert als erfrischende Konzeptkunst umgedeutet (als Platte ebenfalls bei BIS).
Die Natürlichkeit ihres Spiels hat zweifellos mit ihrer Herkunft zu tun. Sie stammt aus einem winzigen Dorf nördlich von Oslo, fast abgeschieden von der Welt. Bereits mit zwei Jahren hatte sie erstmals eine Geige in der Hand, mit sechs gab sie ihr erstes öffentliches Konzert, mit elf verpflichtete sie das Symphonieorchester in Bergen für einen Soloauftritt. Fürs Studium ging sie nach Wien. Jetzt steht ihr die Welt offen. Doch ohne Norwegen geht es nicht. Ein hübsches Promo-Video zeigt sie als flinke Langläuferin auf Skiern, die in dichtem Schneetreiben mal eben Besorgungen macht.
Demnächst, in besseren Zeiten, besuchen wir dann auch mal ihr kleines feines Kammermusikfestival in Aurdal. Dort knarren die Stühle, wenn die Zuhörer zu unruhig sind. Passiert aber nicht, weil Eldbjørg Hemsing, die neue Königin der Geige, wirklich jeden in ihren Bann zieht.
DEBUT CD REVIEW IN RHEINISCHE POST

Musik aus tiefster Geigerseele
“The wonderful Violin Concerto in G major op. 14 from 1914 is a real hit, and you can be thankful to the Swedish label BIS for letting the work now appear at its best. The solo part is played by the fabulous young Norwegian Eldbjørg Hemsing: she impresses with a brilliant technique, her tone is bright and soft – and the grandeur of a free violinist soul is enthroned above everything. The 27-year-old artist, of whom there is still a great deal to hear, brings the work, which one can hear wonderfully carefree, so to speak, back into the repertoire. The Wiener Symphoniker, under the direction of Olari Elts, assists masterfully. This SACD is rounded off by a no less impressive performance of the Violin Concerto No. 1 in A minor by Dmitri Shostakovich, which captures the edges and abysses of the music.“
Wolfram Goetz | Rheinische Post | 5 Mar 2018:
Die einen kamen aus dem hohen Norden nach Deutschland, um hier tief in die Tradition der klassischen Musik einzudringen und die letzten Weihen zu empfangen. Dann kehrten sie zurück, kümmerten sich um die authentische Musik ihrer Heimat und um die Art, wie sie selbst als Komponisten in dieser nationalmusikalischen Thematik eine eigene und unverwechselbare Stimme fanden. Für Hjalmar Borgstrøm war das nicht der richtige Plan. Der 1864 in Oslo geborene Komponist ging 1887, als 23-Jähriger, nach Leipzig, aber er dachte nicht daran, sich die zentraleuropäischen Errungenschaften alsbald wieder abzuschminken. Er war infiziert von der Macht der Programmmusik, er genoss das volle Programm von Johannes Brahms, Franz Liszt und Richard Wagner und stand einem norwegischen Idiom fern (wie es etwa, selbstverständlich auf wundervollem Niveau, bei Edvard Grieg der Fall gewesen war).
Und als Borgstrøm zurück war in Oslo, da fiel der Erfolg seiner Musik nur matt aus: Man sehnte sich zumal nach dem Ende des Ersten Weltkriegs nach Esprit, nicht nach Erdenschwere. Norwegen schaute nach Frankreich, und Borgstrøm musste sein Geld als Musikkritiker verdienen. In dieser Profession war er allerdings hoch angesehen, er galt als Instanz. Dabei ist das wundervolle Violinkonzert G-Dur op. 14 aus dem Jahr 1914 ein echter Knüller, und man kann dem schwedischen Label BIS dankbar sein, dass er das Werk jetzt in Bestbesetzung hat aufnehmen lassen.
Den Solopart spielt die fabelhafte junge norwegische Eldbjørg Hemsing: Sie prunkt mit einer glänzenden Technik, ihr Ton ist leuchtend, hat Schmelz – und über allem thront die Grandezza einer freien Geigerseele. Die 27-jährige Künstlerin, von der man noch sehr viel hören wird, holt das Werk, das man wunderbar unbeschwert hören kann, sozusagen zurück ins Repertoire. Dabei helfen die Wiener Symphoniker unter Leitung von Olari Elts meisterlich mit.
Abgerundet wird diese SACD durch eine nicht minder beeindruckende, die Kanten und Abgründe der Musik einfangende Wiedergabe des Violinkonzerts Nr. 1 a-Moll von Dmitri Schostakowitsch.